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Mäusedornwurzelstock - Rusci rhizoma [Ph. Eur. 5. Ausgabe, 3. Nachtrag]

Stammpflanzen: Ruscus aculeatus L. / Stechender Mäusedorn [Fam. Ruscaceae / Mäusedorngewächse; Hinweis: Die Systematik der gesamten Ordnung Asparagales wurde in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten mehrfach revidiert. Dies hatte zur Folge, dass die Gattung Ruscus zwischenzeitlich der Familie Convallariaceae / Maiglöckchengewächse zugeordnet wurde. Inzwischen wurde diese Klassifizierung revidiert und die Ruscaceae wieder als eigenständige und zudem um andere, zuvor eigenständige Familien bereicherte Familie etabliert. Dies hat zur Folge, dass auch in aktueller Literatur abweichende Angaben zur Familienzugehörigkeit des Mäusedorns zu finden sind.]. Synonyme: Keine gebräuchlich. Dt. Synonyme: Brusken, Brustwurz, Dornmyrte, Fledermausdorn, Fleischerbesen, Keerbesen, Kosmasstaude, Liebesbeere, Myrtendorn, Stechender Palm, Stechmyrte. Englisch: box-holly, butcher's-broom, Holly.

Botanische Beschreibung der Stammpflanze: Immergrüner, 30 bis 100 cm hoher, xerophytischer Halbstrauch. Der aufrechte, verholzte Stengel ist meist reichlich verzweigt. Die dreieckigen bis lanzettlichen, schuppenförmigen Laubblätter sind unscheinbar und fallen zudem früh ab. Photosyntheseorgan und damit Blattersatz sind die Phyllokladien, die zweizeilig an den Seitentrieben angeordnet sind. Sie sind etwa 1,5 bis 2,5 cm lang, ledrig und vorne in eine stechende Spitze auslaufend. Oberflächlich betrachtet ist ihre Gestalt identisch mit der herkömmlicher Laubblätter. Beim genaueren Hinsehen fällt jedoch auf, dass sie auf ihrer Unterseite eine Blüte (manchmal auch mehrere büschelig angeordnete) bzw. Frucht tragen, die in der Achsel eines kleinen, derben, häutigen Hochblattes entspringt. Die Blüten bestehen aus 6 grünlich-weißen, im Zentrum auch rötlich überlaufenen, bis 2 mm breiten Perigonblättern, die in zwei Kreisen angeordnet sind, wobei die des inneren Kreises deutlich kleiner als die äußeren sind. Die roten Beerenfrüchte enthalten 1 bis 4 dicke Samen.

Verbreitung: Europäisches und türkisches Mittelmeergebiet einschließlich der zu Spanien, Frankreich Italien und Griechenland gehörenden Inseln, ferner auf den Azoren. Bevorzugt anzutreffen in Gebüschen, Wäldern und an trockenen steinigen Abhängen.

Droge: Die getrockneten, ganzen oder zerkleinerten unterirdischen Teile (Wurzelstock und Wurzeln) von Ruscus aculeatus L., die bezogen auf die getrocknete Droge einen Mindestgehalt an Sapogeninen von 1,0 Prozent aufweisen, berechnet als Ruscogenine (Mischung aus Neoruscogenin und Ruscogenin; bestimmt mittels HPLC).

Beschreibung der Droge: Der Wurzelstock besteht aus etwa 5 bis 10 cm langen und ca. 5 mm dicken, zylindrischen oder annähernd kegelförmigen, gelblichen, verzweigten, gegliederten und etwas knotigen Stücken. Die Oberfläche ist durch  etwa 1 mm breite, voneinander getrennte Ringe gekennzeichnet. Auf der Oberseite des Rhizoms finden sich rundliche Narben der dort entspringenden Stengel. Auf der Unterseite befinden sich Narben abgefallener Wurzeln sowie zahlreich vorhandene Wurzeln. Diese sind etwa 2 mm dick und ähnlich gefärbt wie die Rhizome. Nach dem (leicht möglichen) Ablösen der äußeren Schicht ist der gelblichweiße Zentralzylinder zu erkennen, der sehr hart ist. Bei der Schnittdroge ist im Querschnitt eine dünne, von Kork bedeckte Rinde und ein Zentralzylinder zu erkennen. Die längsrunzeligen Wurzeln besitzen eine dicke Rinde und einen blassgelben Zentralzylinder.

Geruch und Geschmack: Schwacher, eigenartiger Geruch. Geschmack zunächst süßlich, dann scharf und widerlich.

Synonyme Drogenbezeichnungen: Deutsch: Mäusedornwurzel, Myrtendorn. Englisch: butcher's broom. Lateinisch: Radix Rusci, Rusci aculeati rhizoma.

Herkunft: Aus Wildbeständen und aus dem Anbau in europäischen und afrikanischen Mittelmeerländern.

Inhaltsstoffe: Steroidsaponine: Gehalt 4 bis 6%. Das Saponingemisch besteht aus ca. 30 Verbindungen vom Spirostan- und Furostan-Typ. Eine Zuckerkette ist stets O-glykosidisch an das C-Atom 1 gebunden, der zweite Zuckerrest der Spirostanderivate an das C-Atom 26. Hauptglykoside sind die bisdesmosidischen Furostanoide Ruscosid und Desglucoruscosid (liefern bei der Hydrolyse durch Zyklisierung der Seitenkette das Spirostanderivat Ruscogenin)  sowie die monodesmosidischen Spirostanoide Ruscin und Desglucoruscin mit dem Aglykon Neoruscogenin (Zuckerreste am C-Atom 1 mit denen von Ruscosid und Desglucoruscosid identisch). Weitere Bestandteile: Sterole, Sterolglykoside, Triterpene, 2,5-Diacetyl-6-hydroxybenzofuran (Euparon), Chrysophansäure, in geringer Menge ätherisches Öl und Fettsäuren (Kettenlänge 22 bis 26).

Wirkungen: In tierexperimentellen Untersuchen wurde eine Erhöhung des Venentonus sowie eine kapillarabdichtende, antiphlogistische und diuretische Wirksamkeit nachgewiesen. Die am Menschen zu beobachtende Wirkung wird als antiexsudativ und venentonisierend beschrieben. Die antiexsudative Wirkung wird darauf zurückgeführt, dass Ruscin die Konzentration von des Enzyms Elastase erniedrigt, welches maßgeblich die Gefäßwände im Kapillarbereich schädigt und zum Abbau der Gerüstsubstanz im Kollagen der Venenwände führt. Daraus resultiert eine erhöhte Durchlässigkeit der Kapillarwände für Flüssigkeit und Eiweißstoffe. Ruscin und Ruscosid erniedrigen die Konzentration von Elastase, so dass die Durchlässigkeit der Kapillarwände gesenkt wird. Außerdem scheinen Inhaltsstoffe des Mäusedorns dazu in der Lage zu sein, gefäßschädigenden Prozessen entgegenzuwirken, die bei Sauerstoffmangelversorgung in schlecht durchbluteten Gefäßen auftreten. Weiterhin konnte für aus der Droge gewonnene Extrakte eine antimikrobielle Wirkung gegen verschiedene Bakterien und Pilze nachgewiesen werden, die jedoch für die bisherige Anwendung der Droge ohne Relevanz ist.

Anwendungsgebiete: Zur unterstützenden Therapie von Beschwerden bei chronisch venöser Insuffizienz (CVI) wie Schmerzen und Schweregefühl in den Beinen, nächtliche Wadenkrämpfe, Juckreiz und Schwellungen. Weiterhin verwendet zur unterstützende Therapie von Beschwerden bei Hämorrhoiden wie Juckreiz und Brennen.
Die Wirksamkeit bei CVI wurde in einer kürzlich durchgeführten plazebokontrollierten Doppelblindstudie bestätigt, an der 166 Frauen im Alter von 30 und 39 Jahren teilnahmen, die unter einer klinisch manifesten CVI im Stadium I und II nach Widmer litten. Appliziert wurde über einen Zeitraum von 12 Wochen zweimal täglich ein Ruscus-Präparat, welches 36,0 bis 37 mg eines mittels wässrig-methanolischer (40:60, V/V) Extraktion gewonnenen Trockenextrakts aus Mäusedornwurzelstock (Droge-Extrakt-Verhältnis 15-20 : 1) enthält. Hauptuntersuchungsparameter war das Beinvolumen, weitere Parameter der Umfang von Knöchel und Unterschenkel sowie subjektive Parameter wie „schwere, müde Beine“, „Spannungsgefühl“, „Kribbeln“ und „Schmerzen“. Das Beinvolumen reduzierte sich unter Ruscus-Behandlung um 25,5 ml, während es unter Plazebo um 5,5 ml zunahm. Auch bei den sekundären Zielparametern sowie den subjektiven Parametern bewirkte das Ruscus-Präparat eine signifikante Besserung der Symptome. Unerwünschte Wirkungen waren in der Plazebo-Gruppe häufiger, die Verträglichkeit wurde von 76,8 Prozent der Patientinnen als sehr gut eingeschätzt.

Volkstümliche Anwendungsgebiete: Bereits seit dem Altertum wird die im Mittelmeergebiet heimische Pflanze u. a. bei Nierenschmerzen, Blasensteinen und Gelbsucht genutzt. Im Mittelpunkt der volksmedizinischen Anwendung stehen auch heute noch der Gebrauch als harn- und schweißtreibendes Mittel. In Vorderasien wird die Droge auch extern bei Hauterkrankungen genutzt. Eine Wirksamkeit der Droge ist bei keinem der hier genannten volkstümlichen Anwendungsgebiete belegt.

Gegenanzeigen: Nicht bekannt.

Unerwünschte Wirkungen: In seltenen Fällen können Magenbeschwerden und Übelkeit auftreten.

Wechselwirkungen mit anderen Mitteln: Nicht bekannt.

Dosierung und Art der Anwendung: Soweit nicht anders verordnet wird eine Tagesdosis an nativem Gesamtextrakt entsprechend einer Menge von 7- 11 mg Gesamtruscogeninen empfohlen. Eine Teebereitung aus der Droge ist nicht gebräuchlich. Zur Anwendung ist die Verwendung von Fertigpräparaten, die unter standardisierten Bedingungen hergestellt werden,  dringend zu empfehlen (z. B. Fagorutin®, u. a. verwendet für die oben vorgestellte Studie). Aufgrund ärztlicher Erfahrungen sollte die Therapie über den Zeitraum von mehreren Monaten erfolgen.

Wissenswertes: Ruscus aculeatus wurde vom Studienkreis "Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde" zur Arzneipflanze des Jahres 2002 ausgewählt.


Bilder:

Der bis 1 m groß werdende Stechende Mäusedorn sieht auf den ersten Blick aus wie eine normale beblätterte Pflanze (Abbildung links oben). Beim genaueren Betrachten fällt jedoch auf, dass sich auf der Unterseite der "Blätter" Blüten befinden (Abbildung rechts oben). Da Blüten stets der Sprossachse entspringen, müssen diese blattartigen Gebilde Metamorphosen der Sprossachse darstellen. Dies ist auch zutreffend, da es sich hierbei exakt um Phyllokladien handelt, d. h. zum Zwecke der Photosynthese flächig ausgebildete Kurzsprosse. Wie "herkömmliche" Blüten entspringen auch die Blüten des Mäusedorns in den Achseln von Hochblättern. Diese sind sehr klein und mehr oder weniger schuppenförmig und häutig (Abbildung links unten). Zur Fruchtreife entwickelt die Pflanze rote Beeren (Abbildung rechts unten).


Literatur: Chase C, Efficacy of Butcher's Broom in Chronic Venous Insufficiency, HerbalGram 60 (2003): 21; Europäisches Arzneibuch, 4. Ausgabe, 2. Nachtrag sowie 5. Ausgabe, 3. Nachtrag; Fraschio F, Arzneipflanze des Jahres 2002: Stechender Mäusedorn (Ruscus aculeatus L.), Drogenreport 15 (2002) Heft 27, S. 43; Hager-ROM 2003, Springer-Verlag; Hänsel R, Sticher O, Steinegger E, Pharmakognosie - Phytopharmazie, Springer Verlag, Berlin Heidelberg 1999; Marzell H, Wörterbuch der Deutschen Pflanzennamen, Verlag S. Hirzel, Leipzig 1943; Monografie der Kommission E, Bundes-Anzeiger Nr. 127 vom 12.07.1991; Noe S, Ullrich N, Ruscus bei chronisch venöser Insuffizienz, Dt. Apotheker-Ztg. 143 (2003): 3935-7; Schilcher H, Kammerer S, Leitfaden Phytotherapie, Urban & Fischer, München Jena 2003; USDA, ARS, National Genetic Resources Program. Germplasm Resources Information Network - (GRIN) [Online Database]; Wichtl M (Hrsg.), Teedrogen und Phytopharmaka, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2002.


© Thomas Schöpke